Josef Leydold


Mathematik für Ökonomen

Die formalen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften


Vorwort


Der Geiz lehrte mich zu rechnen.
SENECA (um 4 v.Chr. bis 65 n.Chr.)

"Du kannst wohl nicht zählen, oder wie?"
"Nein", sagte der kleine Tiger. "Brauch ich das denn?"
"Das brauchst du dringend nötig", sagte der kleine Bär, "denn wer nicht zählen kann, der geht im Leben unter."
JANOSCH. "Wie der Tiger zählen lernt"


Die mathematische Ökonomie (mathematical economics) ist kein eigener Zweig der Ökonomie wie etwa Finanzwissenschaften oder Außenhandel. Es ist viel mehr ein anderer Zugang zur Untersuchung wirtschaftswissenschaftlicher Zusammenhänge, ein Zugang, der Gebrauch von mathematischen Symbolen und bekannten mathematischen Theoremen macht. Sie unterscheidet sich grundsätzlich nicht von der "eigentlichen" Ökonomie. Anstatt Annahmen und Schlußfolgerungen in Wörtern und Sätzen zu beschreiben, werden mathematische Symbole und Gleichungen verwendet. Sie liefert in dem Sinn keine Kenntnisse, die nicht auch durch logisches Schließen mit Hilfe der deutschen (englischen, französischen, ...) Sprache erzielt werden könnten. Die Vorteile des mathematischen Zuganges sind aber:

  1. Die "Sprache" ist kürzer und präziser, die Begriffe sind klar definiert.
  2. Wir können verschiedene mathematische Theoreme für unsere Untersuchungen verwenden.
  3. Um diese Theoreme anwenden zu können, sind wir gezwungen, alle unsere Annahmen explizit anzugeben, da mathematischen Theoreme üblicherweise in Form von "wenn - dann" Aussagen vorliegen. Um die "dann"-Aussage zu erhalten, müssen wir uns vorher vergewissern, daß die "wenn"-Aussage erfüllt ist. Diese Vorgangsweise schützt uns (etwas) davor, ungewollte implizite Annahmen zu übersehen.
  4. Es ermöglicht uns, allgemeine Fälle zu bearbeiten, die jenseits unseres Vorstellungsvermögens sind (z.B. beliebig viele Variable). Wir haben mit der Mathematik eine Sprache zur Verfügung, mit der wir eine Welt beschreiben können, die uns ansonst (sprachlich und gedanklich) versperrt bliebe.
Der Preis, den wir für das Werkzeug Mathematik zu bezahlen haben, ist offensichtlich: Wir müssen die Sprache der Mathematik erst mühsam erlernen. Genauso, wie wir die Benützung eines Apparates, eines Fahrrades etwa, erlernen müssen. (Wenn wir aber erst einmal radfahren können, dann kommen wir damit rascher ans Ziel als zu Fuß.)

Das vorliegende Buch bietet dem bzw. der interessierten Leserin eine kleine Einführung in die Welt der Mathematik. Einige der wichtigsten Begriffe und Techniken, die Sie in wissenschaftlichen Journalen wie etwa American Economic Review finden können, werden erklärt. Ich habe dabei versucht, nicht nur ein paar "Kochrezepte" zum Lösen einzelner mathematischer Probleme anzubieten, sondern auch die Idee dieser Konzepte verständlich zu machen. (Elementare Kenntnisse, wie sie etwa an einer österreichischen höheren Schule vermittelt werden, sind in Anhang überblicksmässig zusammengefaßt.)

Das Verständnis dieser Ideen und das Arbeiten mit mathematischen Symbolen und Begriffen erscheint mir wichtiger als die Fertigkeit, standardisierte Übungsbeispiele mit vorgegebenen Rechenalgorithmen zu lösen. Diese mechanische Fertigkeit besitzen heute bereits einige Computerprogramme, wie Matematica oder Maple. Die Kenntnis eines Faches bedeutet aber vor allem die Kenntnis der Sprache dieses Faches (Neil Postman).

Da zum Lesen der aktuellen Literatur die Kenntnis der mathematisch Fachsprache notwendig ist, bietet dieses Buch als kleine Hilfestellung ein kleines Deutsch-Englisches Wörterbuch samt englischem Register.

Rechnungen, bei denen erfahrungsgemäß häufig Fehler gemacht werden, sind einem Symbol am linken Rand gekennzeichnet.

An dieser Stelle möchte ich mich auch bei allen bedanken, die durch ihre Unterstützung das Entstehen dieses Buches erst möglich gemacht haben; insbesondere bei (in alphabetischer Reihenfolge) Christian Cenker, Gerhard Derflinger, Wilfried Grossmann, Michael Hauser, Wolfgang Hörmann, Mojca Jenko, Jörg Lenneis und Gabi Uchida.

Wien, im Juli 1997
Josef Leydold


© 9. Februar 1998, Josef.Leydold@statistik.wu-wien.ac.at
Abteilung für angewandte Statistik und Datenverarbeitung